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11/09/2024
17/04/2024
07/07/2023
Im Halbschatten
Ausstellung von Anja Molendijk, Galeriehaus Nord, Nürnberg, 7.7.2023
© Hans-Peter Miksch, Fürth, 6/2023
Mittag
Wie über dem blauenden Waldsee schwer
Hinlastet schwärmendes Schweigen.
Ein Raunen, ein heimliches, zittert noch her
Von blütenbezwungenen Zweigen.
Die schillernde, schnelle Libelle schwirrt
Hin über die Fläche, die blanke, —
Da, rauschend im ragenden Röhricht irrt
Ein — niegedachter Gedanke . . .
Die schillernde, schnelle Libelle... aus dem Gedicht von Rainer Maria Rilke oder ihr ähnelnde Insekten und Insektenähnliche
finden sich in Bildern von Anja Molendijk. Bilder, die bestimmt werden von weiblichen Figuren, schemenhaft wie Schattenrisse,
und Pflanzen, darunter auch blütenbezwungene(n) Zweige(n). Die Stimmung dieser Bilder erinnert, um mit Rilkes Worten zu
sprechen, an ein heimliches Raunen, ein schwärmendes Schweigen.
Ich habe das frühe Gedicht von Rilke nicht zitiert, weil mich Anja Molendijk darauf aufmerksam gemacht hätte. Neben dem
Insekt, der Libelle, liegt der Grund im Entstehungsjahr 1896, der Zeit des Jugendstils, weil A.M. zu ihr eine starke Beziehung hat.
Den Jugendstil mit seiner Umsetzung von Formen aus der Natur und seiner Nähe zum Ornament, seiner Feier des Vegetativen
und Organischen hätte es nicht gegeben ohne den Japonismus. Molendijk hat ihrerseits eine große Affinität zu dem Lebensgefühl
des japanischen Mono-no aware, dem Gefühl der Traurigkeit angesichts der Vergänglichkeit alles Seienden. Und damit sind zwei Fixsterne am künstlerischen Firmament der in Fürth aufgewachsenen und nach Lehr- und Wanderjahren seit langem wieder in Fürth lebenden Künstlerin benannt. Geboren wurde sie 1959 in Burglengenfeld in der Oberpfalz. Für Malerei interessierte sie sich frühzeitig. Wenige Semester studierte sie Kunsterziehung an der PH in Nürnberg, doch dann ging sie in die USA, wo sie sich aus bürokratischen Gründen nicht für ein Kunststudium einschreiben konnte, sich notgedrungen für ein Germanistikstudium einschrieb und zugleich Studenten im Fach Deutsch unterrichtete, aber parallel dazu nach wie vor ihr Hauptinteresse auf freie Kurse für Malerei legte.
Nach ihrer Rückkehr lebte sie einige Zeit in München, wo sie anfing, für die Musikbranche zu arbeiten. Zurück in Fürth wurde die
freie Kunst nach und nach endlich nicht nur Berufung, sondern auch Beruf.
Die Künstlerin hat der Ausstellung den Titel „Im Halbschatten“ gegeben: Wenn ein Gegenstand von mehreren Lichtquellen beleuchtet wird, dann befindet sich physikalisch gesehen etwas im Halbschatten dieses Gegenstandes, wenn es nur von einem Teil der
Lichtquellen beleuchtet wird.
Der Titel bezieht sich angesichts der Motive und der gedämpften Farbigkeit der Arbeiten wunderbar auf die Exponate, gar keine Frage.
Trotzdem verstehe ich das Motto der Ausstellung auch als Selbstbeschreibung der Künstlerin.
In all den Jahren, in denen wir uns kennen, erschien sie mir gewissermaßen immer im Halbschatten der Kunstszene zu stehen.
Aber nicht, weil jemand sie quasi dort hingeschoben hätte, sondern weil sie selbst es so will. Sie drängt sich nicht in den Vordergrund
und tanzt nicht auf jeder Hochzeit. Sie öffnet zwar beim Fürther Gastspiel stets ihr Atelier und lädt sich höchst ambitioniert illustre Gastkünstler ein, deren Arbeiten exzellent mit ihren Werken korrespondieren. Aber ich habe kein einziges Mal erlebt, dass sie irgendwann für sich selbst Werbung gemacht hätte.
Eigenwilligkeit muss eine Kernkompetenz beim künstlerischen Schaffen sein, sie ist ein Gradmesser für die künstlerische Qualität.
Das gilt gleichermaßen für die Form wie für den Inhalt.
Eigenwillig ist Anja Molendijks Technik.
Es ist nicht möglich, sie ausschließlich als Malerin oder Zeichnerin oder Grafikerin zu klassifizieren. Ganz nebenbei arbeitet sie auch plastisch, was die beiden gepunzten, geritzten Walzblei-Bilder in der Ausstellung nur unzureichend beweisen. Bis zu einer Größe,
bei der das Gewicht ihr Schwierigkeiten mit dem Umgang mit ihren Arbeiten macht, bevorzugt sie Holztafeln als Bildträger. Beim
großen Format wechselt sie aus praktischen Gesichtspunkten zur Leinwand. So oder so kaschiert sie mit mehreren Lagen von Papier, verdeckt dadurch die Struktur der Leinwand. Das Papier wird beim Aufkleben nicht immer plan. Doch Falten oder Risse stören sie nicht. Sie kratzt in die Papierlagen, behandelt die kaschierte Holzplatte teilweise, als solle damit ein Holzschnitt gefertigt werden. Es kann
einen Abklatsch aus Zeitungspapieren geben, de facto eine Drucktechnik. Statt mit einem Fixativ überzieht sie die Fläche hin und
wieder mit Schellack. Sie malt, wäscht aber die Farbe partiell wieder ab – Farbe bleibt in den Vertiefungen stehen. Apropos Farbe –
ja, gelegentlich setzt Molendijk ein stumpfes Blau ein, ein gedecktes Sienna, ein Grau, das ins Oliv spielt, ein Umbra, das die Tendenz
hat zu einem gedämpften Goldton. Aber immer und immer wieder dominieren Rot und Schwarz, Leben und Tod.
Eigenwillig sind Anja Molendijks Bildtitel.
Ohne Übersetzungs-App wird niemand alle Bildlegenden verstehen – denn sie nimmt fantasiereich Worte, Begriffe und Phrasen aus verschiedensten Sprachen. Neben deutschen, englischen, französischen Wörtern kommen Titel aus dem Russischen, dem Polnischen, dem Albanischen, aus Hindi, aus dem Lateinischen, dem Österreichischen (Trafikantin), aus Fachsprachen (Großtombe = meteorologischer Begriff).
Eigenwillig sind Anja Molendijks Bildgegenstände.
Es handelt sich um die bereits erwähnten, hauptsächlich weiblichen Figuren, um Pflanzen, um Insekten. Die Körper oder Torsi können intim wie klassisch-akademische Akte nach dem Modell erscheinen, dann wieder wie die Wiedergabe lebloser hölzerner Glieder- oder indonesischer Stabpuppen. Man denkt an den Erotomanen Hans Bellmer und seine dem Voyeurismus huldigende Lolita-Puppe. Das Jugendstilhafte habe ich bereits erwähnt, die Erinnerung an den englischen Grafiker Aubrey Beardsley und seine Frauengestalten,
diese Megären oder Priesterinnen. Wären wir hier eine Gruppe von Alt-Punks, dann könnte ich über Anja Molendijk kurz und knapp sagen: She`s so goth – weil die jungendstilverliebte Gothic Culture aus dem Punk kam.
Die Gestalten, ob menschlich, ob tierisch, schweben vor ihrem Hintergrund, es gibt keine gemalten Räume, keine Perspektive, nur Ortlosigkeit und traumverlorene Allgegenwärtigkeit.
Japanische Stilformen spielen immer hinein, Elemente aus dem Surrealismus, der metaphysischen Malerei de Chiricos oder des Primitivismus tauchen auf. Molendijk selbst nennt noch Paul Klee und die Felsmalerei als Bezüge. Ein souveräner Mix über
Kunstepochen hinweg, kulturelle Aneignung at its best.
Den Insekten müsste man eine eigene ausführliche Betrachtung widmen. Es sind Tiere, die gemischte Reaktionen bei uns
hervorrufen. Niemals niedlich, lassen sie uns in ihrer manchmal totalen Erstarrung oder sprunghaften Bewegung staunen und erschrecken, Faszination und Ekel sind die Kehrseiten derselben Medaille. Der bekannte Schöpfer der Monster der Alien-Filmreihe,
der Schweizer Maler-Grafiker H.R. Giger, hat sich stark an Insekten orientiert. Die Insekten verwandeln sich in menschliche Körper
und umgekehrt. Insekten wie Pflanzen, Pflanzen wie Insekten sind teilweise fähig zur Mimikry. Der Betrachter fragt sich, ob diese Fähigkeit zur Anpassung an die Umwelt, um sich zu schützen oder um mit falschen Versprechungen zu locken, auch den Protagonistinnen in diesen Bildern zugesprochen wird?
Tiere, Pflanzen, weibliche Gestalten kommen bei Anja Molendijk natürlich nicht immer im Dreiklang vor. Wenn aber doch, dann sind
sie miteinander verwoben zu einem Statement der Kreatürlichkeit. Als wären es Traumfänger aus Mensch und Pflanze. In einem
Kurztext in einem Katalog spricht die Malerin von der „Welt als beseelte Schöpfung“. Pflanzenteile und Insektengliedmaßen vermischen sich, der menschliche Körper drängt nicht nach vorne, zuweilen ist er mehr Ahnung als Gewissheit. Das Ausstellungsmotto gilt dann in gesteigerter Form. Die kreatürlichen Erscheinungen bleiben angedeutet, wirken wie verschleiert, sind sprichwörtlich verschattet. Die Stimmungen, die Molendijk erschafft, sind uneindeutig.
Manches ist Sehnsuchtsbild, manches könnte man lesen als Appell an den Menschen, sich nicht über die Natur zu erheben.
Und manches wirkt wie ein dunkles Geheimnis: gemalte Geisterbeschwörungen, Bilder einer ebenso ahnungsvollen wie rätselhaften Erinnerung, Bilder einer leise vibrierenden Unruhe. Oder sind die Schattenfigurinen vielleicht Teil einer Ästhetik der Nacht als dem zentralen Gegensatz von Draußen und Drinnen – Innen und Außen? Auf der Suche nach Deutung ist es, als würden diese Bilder
Schatten verströmen.
Den Wert des Schattens musste ein Peter Schlemihl in Adalbert von Chamissos gleichnamiger Erzählung schmerzhaft kennenlernen:
„Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld.“
Das veraltete Verb raunen aus dem eingangs zitierten Rilke-Gedicht charakterisiert die Stimmung der Schatten am besten.
Sollte ich ein Resümee ziehen, würde ich sagen, dass von Anja Molendijks Bildern ein Raunen ausgeht, sie machen uns Betrachter schwanken zwischen dem irritierenden Verdacht, einer Täuschung aufzusitzen, und der Ahnung, eine verborgene Seite unserer
Existenz zu entdecken.
23/7/2022
In Anja Molendijks Bildern sammelt sich eine verwunschene Welt aus Figuren, Pflanzen und Insekten, die wundersame Geschichten zu erzählen scheinen. Dazu bedient sich die Künstlerin der Technik der Collage: In einem mehrstufigen Werkprozess werden auf die Holzfläche oder den mit Nesselstoff bespannten Keilrahmen verschiedene Papiere aufgeklebt, wie Zeitungen und einfaches Malerabdeckpapier; manchmal kombiniert die Künstlerin die grundlegend verwendeten Materialien auch mit Blattgold oder Bootslack. Aus diesen Flächen kratzt sie feine Linien mit der Radiernadel heraus und trägt erneut Farbschichten auf, die stellenweise wieder weggewaschen werden, so daß die Farbe in den Linien stehen bleibt und als Motiv sichtbar wird. Auf diese Weise schält die Künstlerin ihre Sujets gleichsam aus dem Grund der Bilder heraus; sie werden oft erst auf den zweiten Blick in ihrer ganzen Formenvielfalt sichtbar.
Anja Molendijk, die nach dem Studium in Erlangen an der University of Georgia Literaturwissenschaft und Kunst studierte, wendet nicht nur formal, sondern auch inhaltlich eine Collagetechnik an. Als Zusammenführung verschiedener sprachlicher und visueller Materialien offenbart sich in den Bildern der große Motivschatz, aus dem die Künstlerin schöpft: Es klingen Märchen, Tanz und Theater der Länder Ostasiens oder des Orients an. An anderen Stellen scheint die Poesie der Zeichnungen Paul Klees durch oder eine fast maschinenhafte Körperauffassung, wie man sie von den Figurendarstellungen Oskar Schlemmers kennt. Diese historischen Vorlagen werden von der Künstlerin zu neuen, geheimnisvoll anmutenden Bildern verwoben, in denen Menschen, Insekten und Pflanzen, weil von gleichem Maßstab, als gleichberechtigte narrativer Einheit auftreten.
Susann Scholl, Kunsthistorikerin Nürnberg
anlässlich der Ausstellung "Hier geblieben! - Kunst für die Stadt" der kunst galerie fürth, 23.7.2022 bis 25.9.2022
4/11/2019
in den falten einer geschichte, Öl auf Papier auf Nessel, 2019, Ankauf 2019
Anja Molendijk hat ihre eigene Technik kultiviert, Papiere überlappend auf Nessel zu kleben, um so in mehreren Arbeitsschritten zeichnen und malen, teilweise abwaschen, letztlich wie bei einem Palimpsest Mal-Schichten überarbeiten zu können (Palimpsest = überschriebenes Pergament, von dem Text abgeschabt und abgewaschen wird, um ursprünglich das kostbare Material zu sparen). Sie bewegt sich also an der Grenze zwischen Malerei und Zeichnung. Neben Braun- und Grautönen verwendet sie Buntfarben nur sparsam und in gebrochenen, gedämpften Tönen. In diesem Bild sind es ein Rot und ein mattes Grün.
In Zyklen beschäftigt sich Molendijk mit Pflanzen, Insekten und dem menschlichen Körper. Bei dem Werk „in den falten einer geschichte“ erkennt der Betrachter einen weiblichen Akt, der einerseits durch Umrisslinien, andererseits wie eine Negativform durch dunkle Randflächen gekennzeichnet ist, die wie verstreute Puzzleteile wirken. Wegen des fehlenden Kopfes und der fehlenden Hände kann man von einem Torso sprechen. Am rechten, mittleren Bildrand gibt es zwei Elemente, die wie Insektenbeine abgeknickt sind und scheinbar eine Fortführung des linken Beins der Figur sind, von dem nur der Oberschenkel definiert ist. Die kräftigen Flächen sind rhythmisch, aber nach einem verborgenen System über das Bild verteilt. Die Gliedmaßen des Torsos, die Details des Aktes sind so zart angedeutet, dass der Blick des Betrachters geduldig Spuren suchen und Teile zusammensetzen muss, vielleicht denkt er dabei an Archäologie und an ein sogenanntes Bodendenkmal. Die teilweise übereinander geklebten und Falten werfenden Papiere tun ein Übriges zu diesem Eindruck: Eine Figur wie eine Geisterbeschwörung oder ein Erinnerungsbild.
Hans-Peter Miksch, Leiter der kunst galerie fürth
Text Infotafel Rathaus Fürth